HOEHLENWELTEN oder CAVAE TONA 

Objekte aus Sand und Lehm von Irena Ráček - fotografiert von Ferdinand Altmann - Tanzperformance zu einer Komposition von Norbert Walter Peters  -                    unser Beitrag zum WEINVIERTELFESTIVAL 2004

                 Auszug aus der Zeitschrift kultur NACHRICHTEN AUS DEM Weinviertel   Jahrgang 24, Heft 1, Autor Ferdinand ALTMANN

Seit langem- im Grunde genommen seit Menschengedenken - wissen wir, dass der Kapellenberg von Althöflein sogenannte Erdställe beherbergt. Dem Tourismusverein Großkrut, mit seinem Obmann Ludwig Schweng und dessen Gattin Ingrid, sowie Martin Bauer aus Althöflein verdanken wir es, dass diese Erdställe, sie sind wohl die umfangreichsten ihrer Art, zumindest im Weinviertel, im wesentlichen vermessen und dokumentiert wurden.

Die vor mehr als 30 Jahren zur Weinviertlerin gewordene Künstlerin Irena Ráček hat aus Sand und Lehm, die sie sich aus eben diesen Erdställen geholt hat, mystisch- kultische Objekte und Figuren geschaffen und in den schwer zugänglichen Erdställen installiert. Ferdinand Altmann - der Autor dieser Zeilen - hat diese "Spuren vergangenen Lebens" fotografiert und damit einem interessierten Publikum sichtbar gemacht. Gemeinsam mit einer Tanzperformance der Gruppe "Filigran" aus Brünn wurden diese Fotos im Rahmen des Weinviertler Kirtags auf dem Kapellenberg Althöflein präsentiert und im September 2004 waren die von Irena Ráček geschaffenen Objekte und auch deren Fotos im Mährischen Landesmuseum in Brünn zu sehen.

Kreisrund, zum Schutz vor feindlichen Angreifern umgeben von mehreren Ringwällen und den einst mit Wasser gefüllten Gräben, obenauf die dem Hl. Georg geweihte Kapelle, so prägt der Hausberg nicht nur das Dorf Althöflein, sondern im Grunde genommen die ganze Gegend. Als Turmburg auf quadratischem Grundriss mit meterdicken Mauern und einem begehbaren Wehrgang im Dachboden hat man diese im frühen Mittelalter errichtet und im 14. Jh. hat man ein Kreuzrippengewölbe eingefügt und die Burg zur frühgotischen Kapelle umgebaut und erst um 1700 auch einen Glockenturm davorgestellt. 

Das wirkliche Geheimnis ist unter der Oberfläche verborgen. Neben den, wie in anderen Dörfern des Weinviertels auch, in den Löss gegrabenen Weinkellern (ver-) birgt unser Hügel Kammern, in denen man manchmal aufrecht stehen kann, verbunden durch Gänge, die meist nur gebückt oder auf allen vieren zu „befahren" sind, aber auch Durchschlupfe, die man nur bäuchlings durchkriechen kann. Mit 500 m Gesamtlänge ist dies die umfangreichste zusammenhängende Erdstallanlage Mitteleuropas.

„Was sind das doch für sonderbare Menschenwerke, diese künstlichen Höhlen, so nahe unserer Wahrnehmung und doch so fern? Unserer Erkenntnis, so wenig beachtet und doch so wert, Denken und Schaffen einer längst vergangenen Zeit aus ihnen zu erschließen!

Diese, in wunderlichen Windungen und überraschendem Zickzack tief in die Erde eindringenden Gänge, die mehr einer Röhre gleichen, durch die man sich, oft nur wie ein Wurm, durchzuzwängen vermag... "

Matthäus Much charakterisiert schon im Vorwort zu dem 1903 erschienenen Prachtband „Künstliche Höhlen aus alter Zeit" das bis heute nicht wirklich bekannte Wesen der Erdställe. Der als „Höhlenpfarrer" bekannt gewordene Verfasser, der Benediktinerpater Lambert Karner, hatte mehr als 300 Erdställe registriert und meist ist er auch drinnen gewesen .

"Die Schrazellöcher (Erdställe)  gehören zu den Denkmälern, die aus dem Leben  vergangener  Völker erzählen. Ihre Verborgenheit in der Erde und die Sicherheit, die ihnen ihre Baumeister verliehen haben, haben viele den zerstörenden Gewalten der Zeiten entzogen." Schreibt Karl Schwarzfischer 1968 in seiner wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas mit dem Titel: „Zur Frage der Schratzellöcher":„Die Schrazellöcher können infolge ihrer Fundarmut zeitlich nicht genau bestimmt werden. Doch muss angenommen werden, dass sie als Kultstätten der vorchristlichen Zeit angehört haben. Dabei ist es durchaus möglich, dass sie selbst nach Einführung des Christentums noch eine ge­wisse Zeit ihre Geltung behielten, denn Heidentum und Christentum haben lange Zeit nebeneinander bestanden. "

„Über die Quellen des 8. Jahrhunderts oder des Hochmittelalters hinaus lassen Volksglaube und Brauchtum selbst heute noch ahnen, wie der dunkle Strom heidnischer Vorstellungen weiterschwingt bis herein in unsere Tage. Wurden auch die großen Götter enttrohnt, es blieb das tausendfältige verschmitzte und vertrollte Geistervolk der Halbgötter und Kobolde. Die Schrazen und Truden, Hojenmännlein und Holzweiblein spukten und weizten immer noch fort" schrieb B. Hubensteiner 1950 in der Bayerischen Geschichte.Papst Gregor III. (731 - 741) hatte wohl allen Grund, die Bischöfe in Alemannien und Bayern zu ermahnen, das Volk "von den Totenopfern ganz und gar abzubringen". 

Wann die Erdställe angelegt wurden und auch warum wissen wir nicht, doch gibt es sie in ganz Mitteleuropa, von Frankreich bis in den pannonischen Raum, begleitet von Mythen und Legenden, die von einer Generation an die nächste überliefert worden waren, und das oft durch viele Jahrhunderte, aber auch von Schauer- und Gruselgeschichten, die man sich erzählt, weil der wirkliche Zweck in Vergessenheit geraten ist.

Waren sie Fluchtstollen oder schlicht und einfach Vorratslager? Für einen längeren Aufenthalt von Menschen als Versteck vor Feinden sind sie im Grunde genommen ungeeignet, als Vorratslager zu aufwändig und unpraktisch. Wurden die Erdställe für Kulthandlungen angelegt oder handelt es sich um sogenannte "Leergräber", das heißt Erinnerungsstätten für verstorbene Angehörige? Wir wissen es nicht wirklich!

Von Ungarn und der Slowakei über unser Weinviertel, Böhmen und Mähren bis in den Bayrischen Wald, die Oberpfalz und den Elsaß gibt es diese, bei uns „Erdstall" in Süddeutschland auch „Schratzelloch" genannten Bauwerke. Planmäßig wurden sie nach mehr oder weniger vorgegebenen Abmessungen und so gut wie immer in unmittelbarer Nachbarschaft alter Siedlungen, aber auch einzelner Gehöfte von Menschenhand in den Boden gegraben. 

Auch kann es vorkommen, dass die einstige Siedlung längst zur „Wüstung" - so nennt man von ihren Bewohnern verlassene, inzwischen vergessene Siedlungen - geworden ist, und dass Ross und Wagen, eine Zugmaschine, oder auch ein anderes landwirtschaftliches Gerät weitab der Dörfer, überhaupt von menschlichen Siedlungen vor den Augen der erschrockenen Besitzer in einer dieser rätselhaften Höhlen versinken.Auch kann es vorkommen, dass die einstige Siedlung längst zur „Wüstung" - so nennt man von ihren Bewohnern verlassene, inzwischen vergessene Siedlungen - geworden ist, und dass Ross und Wagen, eine Zugmaschine, oder auch ein anderes landwirtschaftliches Gerät weitab der Dörfer, überhaupt von menschlichen Siedlungen vor den Augen der erschrockenen Besitzer in einer dieser rätselhaften Höhlen versinken. Ganze Ortschaften sind manchmal von diesen geheimnisumwobenen Gängen und Kammern unterhöhlt und in den meisten Fällen sind sie von Kellern, manchmal von Stallungen und in einzelnen Fällen auch von Wohnräumen aus zugänglich. Eine Öffnung in der Mauer, ein Einstieg in der Decke eines Kellers oder ein durch spätere Umbauten vermauertes Loch in der Wand ermöglichen den Zugang, der von den Besitzern oft geheim gehalten wurde, manchmal aber den Bewohnern der Häuser selbst nicht mehr bekannt ist.

Hat man den nicht immer ganz einfachen Eingang - meist ist es nur ein Durchschlupf, der kriechend oder schliefend überwunden werden muss - geschafft, kommt man in den Hauptgang, dem man nur gebückt, manchmal auf allen vieren kriechend, folgen kann. Die Gänge sind so angelegt, dass sie vom Boden einer krummen Linie folgend in einen Spitzbogen münden, fast so, als hätten Dombaumeister der Gotik ihre Erfah­rung eingebracht und ihren Baustil angewendet. Doch wissen wir, dass schon die frühesten Bergleute lange vor den Baumeistern der Gotik ihre Stollen in dieser Form in den Berg vorgetrieben hatten, schließlich erreicht man damit die größte Festigkeit. Ganz besonders in den bei uns häufig vorkommenden Sanden, die das Urmeer hinterlassen hat. War doch unser Weinviertel einmal Meeresboden, und die Urdonau ist in der Gegend um Eggenburg, später im Raum Mistelbach, in das Pannonische Meer gemündet, wie wir aus der Urgeschichte unserer Erde wissen.

Fast wie bei einem Labyrinth zweigen vom Hauptgang Seitengänge ab, die oft im rechten Winkel umbiegen und irgendwann in eine Kammer münden, die sogar für einige Menschen Platz bietet und in der manchmal- fast aufrecht stehen kann.

Faustgroße Nischen die in regelmäßigen Abständen, vor allem am Anfang und Ende eines Ganges in den Ansatz des Gewölbes eingelassen sind, dürften als Lichtnischen gedient haben, sind doch vereinzelt auch heute noch Spuren von Ruß erkennbar. Etwas größere Wandnischen, die sowohl in den Gängen wie auch in den Kammern vorkommen, fallen durch ihre schöne Form - mit Rund- oder Spitzbogenabschluss - und ihre sorgfältige Ausarbeitung auf. Manche sind geräumig, andere wieder von so geringer Tiefe, dass kaum ein Gerät oder ein Ob­jekt Platz findet. Auch Sitznischen gibt es, in denen gerade eine Person Platz findet und vereinzelte Dampfröhren mit einem Durchmesser von 15 bis 20 cm in der Decke aber auch in den Wänden von Raum zu Raum. Diese könnten den urzeitlichen Benutzern der Anlagen vor allem als Sprech­anlagen gedient haben.

Nur ganz selten ist in einem dieser Erdställe ein Gerät, ein Gefäß oder ein sonstiger Gegenstand gefunden worden, so wie er von unseren Vorfahren benutzt worden war. Auch deren Bedeutung ist uns nicht mehr bekannt, doch Mythen und Legenden wie sie im Volksglauben und Brauchtum bis in unsere Zeit weiterleben, lassen ahnen, dass es religiöse, kultische Gründe waren, für deren Bau derart viel Mühe und Plage aufgewändet worden war.

Wir dürfen daher getrost annehmen, dass es sich bei den vor allem in den einstigen Siedlungsgebieten der Westgermanen vorkommenden Erdställen um vorchristliche Kultstätten handelt. Schließlich kommen sie so gut wie immer in der Nähe vorgeschichtlicher Wohnplätze, in Wallburgen wie hier in Althöflein, oder in unmittelbarer Nachbarschaft der ältesten Kirchenbauten vor. Dass diese genau an jener Stelle erbaut worden waren, wo schon vor dem Christentum die Menschen ihren Göttern gehuldigt, ihnen Opfer dargebracht hatten, wissen wir aus zahlreichen Beispielen, vor allem von den Wallfahrtskirchen. Die „Götter der Heiden" hat man zwar enttrohnt, doch wo dies nicht wirklich gelungen war, hat man ganz einfach das Kreuz als Zeichen des Christentums darübergesetzt und diese damit „entschärft". Nicht zufällig waren die Männer auch hier in Althöflein bis vor gar nicht so langer Zeit während der Messe außen um die Kirche herum gestanden und hatten damit ihre Teilnahme bekundet - ob an der Messfeier oder an etwas anderem, wussten sie im Grunde genommen selbst nicht.

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